Fachkräftemangel ist ein Problem, das die Wirtschaft schon seit Beginn des 21. Jahrhunderts begleitet. Gerade in rasch wachsenden, schnell veränderlichen Wirtschaftszweigen wie der IT-Branche herrscht daher seit Jahren schon ein erbitterter Konkurrenzkampf um High Potentials. Doch auch in anderen Branchen machen sich Fachkräfteengpässe bemerkbar, aus denen sich langfristig Fachkräftemangel entwickeln kann. So schätzte das Ernst & Young Mittelstandsbarometer 2017 die jährlichen Umsatzeinbußen, die mittelständische Unternehmen durch Fachkräftemangel erleiden, auf insgesamt rund 50 Milliarden Euro.
Um auf diesem hart umkämpften Arbeitsmarkt zu bestehen, ist ein Umdenken in der Personalgewinnung zwingend erforderlich. War es vor einigen Jahren noch gang und gäbe, dass Bewerber um die Arbeitsplätze mit den besten Konditionen und Zukunftsaussichten ringen, so ist dieser War of Talents weitgehend versiegt. Im Gegenzug weitet sich der War for Talents, der Kampf der Unternehmen um High Potentials, von Absolventen hochkarätiger Universitäten auf Fachkräfte in fast allen Feldern aus.
Vom War of Talents zum War for Talents
Die Gründe für diesen Wandel sind vielfältig – eine Erklärung nur anhand der Demographie, der Wissenschaft der Bevölkerungsentwicklung, ist daher nicht länger ausreichend. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes Problem, bei dem demografischer Wandel, Digitalisierung und die zunehmende globale Vernetzung tragende Rollen spielen.
- Im Zuge des demografischen Wandels zeichnet sich schon länger eine zunehmende Überalterung der Bevölkerung ab. Scheidet die ältere Generation aus dem Berufsleben aus, gehen in der Folge mehr Fachkräfte verloren, als Unternehmen kurzfristig aus dem Pool jüngerer Bewerber ersetzen können.
- Weiter verschlimmert wird dieses Problem durch die Digitalisierung, die inzwischen vermehrt auch in IT-fernen Wirtschaftszweigen angekommen ist. Daraus resultiert, dass Unternehmen zunehmend spezialisierte Mitarbeiter benötigen, welche die digitalen Angebote betreuen und instand halten.
- Erschwerend hinzu kommen neue Trends am Arbeitsmarkt. Konzepte wie Homeoffice oder Remote Work ermöglichen es Arbeitnehmern zunehmend standortunabhängig zu arbeiten. Entsprechend steigt ihre Flexibilität bei der Wahl des Arbeitgebers – die Entfernung zum Firmensitz ist nicht länger ein Ausschlusskriterium, wenn die Arbeit großteils von daheim erledigt werden kann.
- Gleichzeitig ist unter High Potentials ein Trend zur Abwanderung zu erkennen. Viele von ihnen beginnen noch während des Studiums damit, internationale Kontakte zu knüpfen, die zu lukrativen Stellen im Ausland führen können.
- Zu guter Letzt lässt sich nur schwer verleugnen, dass auch die Unternehmen selbst ein Teil der Schuld am Fachkräftemangel trifft. Nach wie vor vernachlässigen viele Arbeitgeber die Ausbildung von Nachwuchskräften. Stattdessen suchen sie fast exklusiv nach erfahrenen Fachkräften, die bereits Erfolge vorweisen können.
Fasst man all diese faktoren zusammen, so führt dies zu einer Situation, in der Experten mit langjähriger Branchenerfahrung freie Wahl bei der Arbeitsplatzsuche haben, während hoffnungsvolle Neueinsteiger vielerorts das Nachsehen haben. Wird jedoch die Nachwuchsförderung vernachlässigt, verkleinert sich die Auswahl an Bewerbern immer weiter, je mehr ältere Fachkräfte aus dem Berufsleben ausscheiden.
Was Arbeitnehmer wirklich wollen
Damit Ihr Unternehmen im War for Talents bestehen kann, reicht es nicht, potenzielle Bewerber mit rein materiellen Anreizen zu locken. Zwar sorgen ein überdurchschnittliches Gehalt und vielversprechende Karrierechancen durchaus für einen Zuwachs an Interessenten, die Bindung von Personal an das Unternehmen verbessern sie jedoch nicht.
Gleichzeitig ist es schwierig, die Werte nach außen zu vermitteln, die tatsächlich zu einer höheren Mitarbeiterbindung führen. Wertschätzung und faire Bezahlung sollten immerhin etwas Selbstverständliches sein, Spaß an der Arbeit hingegen ist subjektiv. Ferner gewinnt auch die Flexibilität des Arbeitsplatzes gerade bei Arbeitnehmern im Alter von 18 bis 35 Jahren immer mehr an Bedeutung. Diese jungen, digital affinen Nachwuchskräfte wünschen sich einen Job, der ihnen gleichzeitig die Möglichkeit bietet, Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen. Mit anderen Worten: Die Work Life Balance ist für viele von ihnen wichtiger als die berufliche Perspektive.
Employer Branding – Marketing für Arbeitgeber
Die Assoziation Ihres Unternehmens mit diesen Werten zu schaffen – das ist Aufgabe des Employer Branding. Dabei macht ein Unternehmen sich Strategien aus dem Marketing zunutze, um seine Arbeitgeberattraktivität zu betonen und Wiedererkennungswert zu schaffen. Kernstück dieser Strategie ist die Schaffung einer Arbeitgebermarke, die die Wertvorstellungen des Unternehmens in einem positiven Licht wiedergibt. Auf diese Weise fällt es Bewerbern leichter, sich mit Ihrem Unternehmen zu identifizieren.
Weitere Aspekte, die im Fokus des Employer Branding stehen sollten, sind die Unternehmenskultur und die technische Ausstattung. Viele potenzielle Bewerber legen hohen Wert darauf, in einem modern ausgestatteten und ebenso modern eingestellten Unternehmen zu arbeiten. Flache Hierarchien und ein respektvoller Umgangston sollten daher ebenso präsentiert werden wie zeitgemäße Hardware- und Software-Standards, die ein produktives und effizientes Arbeiten ermöglichen.
Wer auf Bewerber wartet, der verliert
Auch die Art, wie Bewerber zu Unternehmen finden, hat sich durch den War for Talents einschneidend verändert. Anstatt Stellenanzeigen zu schalten und passiv auf Bewerber zu warten, gehen immer mehr Unternehmen aktiv auf High Potentials zu. Dies ermöglicht eine engere Bindung an das Unternehmen durch individuell auf eine bestimmte Bewerber-Zielgruppe oder sogar den einzelnen Kandidaten zugeschnittene Recruiting-Maßnahmen.
Genaueres hängt dabei vom Unternehmen, der Zielgruppe und der Art ab, wie sie sich im Sinne des Employer Branding präsentieren wollen. Von tragender Bedeutung ist jedoch in jedem Falle, potenzielle Bewerber auf den Kanälen anzusprechen, die diese selbst nutzen.
Active Sourcing
Um mit individuellen Kandidaten ins Gespräch zu kommen, ist es wichtig, diesen auf Augenhöhe zu begegnen. Karrierenetzwerke, Lebenslaufdatenbanken und Personalvermittlungen bieten zu diesem Zweck den idealen Ausgangspunkt; dort haben Recruiter Zugang zu einer Vielzahl an potenziellen Nachwuchskräften, die sich auf Jobsuche befinden. So gelingt es, den direkten Kontakt herzustellen und Kandidaten im persönlichen Austausch für Ihr Unternehmen zu begeistern.
Guerilla Recruiting
Eine weitere Option, Fachpersonal zu finden, besteht darin, Fachkräfte da zu rekrutieren, wo sie es nicht erwarten. Dies ist die Aufgabe des Guerilla Recruiting, einer Strategie, bei der durch kreative Anwerbe-Maßnahmen Interesse an Ihrer Arbeitgebermarke generiert wird. Der Fantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt: Ob im persönlichen Kennenlerngespräch, durch subtile Werbung in den Produkten Ihres Unternehmens oder mit einer Werbeaktion, die viral geht – Sie erreichen fast umsonst eine große Zahl an Interessenten.
Recruitainment
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt das Recruitainment. Im Mittelpunkt steht dabei jedoch die Personalgewinnung auf spielerischen oder unterhaltsamen Wege. Dies kann wiederum auf verschiedene Arten geschehen, zum Beispiel durch Events, die im Unternehmen gewünschte Soft Skills wie Problemlösungs- und Teamfähigkeit fördern. Dies hat den zusätzlichen Vorteil, dass Interessenten gleichzeitig einen Test durchlaufen und im Gegensatz zum angespannten Vorstellungsgespräch auf natürliche Weise wahrgenommen werden können.
Ungenutztes Potenzial kommt nicht nur von außen
Auch innerhalb des eigenen Unternehmens gibt es oft ungenutztes Potenzial. Im War for Talents ist es daher unabdingbar, dieses durch ein zukunftsfähiges Talent Management auszuschöpfen.
- Talent Relationship Management bezeichnet das Networking innerhalb des Unternehmens. Durch den persönlichen Austausch mit dem Personal über Karrierewünsche und berufliche Perspektiven erhalten Sie einen Überblick, welche Arbeitnehmer das Potenzial besitzen, sich beruflich weiterzuentwickeln. So können Sie frühzeitig die Weichen stellen, um ihren Zielen entgegenzukommen.
- Um das Wissen erfahrener Mitarbeiter zu erhalten, bietet es sich an, bei einer absehbaren Vakanz in einer spezialisierten Position oder im Management rechtzeitig die Frage der Nachfolge zu klären. Dies ist die Aufgabe des Succession Management, einer konsequenten Form der Nachfolgeplanung, bei der geeignete Kandidaten für frei werdende Positionen im Voraus ausgewählt und in die neuen Aufgabenbereiche eingeführt werden.
- Vervollständigt wird dieses Konzept durch ein transparentes Performance Management. Schaffen Sie ein Belohnungssystem für Mehrleistungen, das Ihre Mitarbeiter anspornt, ohne sie unnötig unter Druck zu setzen. Fallen einzelne Angestellte zurück, lohnt es sich, dies in einem informellen Gespräch konstruktiv anzusprechen – oft lassen sich Probleme auf diese Weise besser lösen als durch Strenge.
Mit klarem Konzept gegen den Fachkräftemangel
Fachkräftemangel ist ein Problem, das auf allen Ebenen angegangen werden muss. Es reicht demnach nicht, Fachkräfte mit guter Bezahlung und anderen Benefits zu ködern, wenn der Job selbst unattraktiv für die Zielgruppe ist. Vielmehr sollte schon die Art, wie Sie auf potenzielle Interessenten zugehen, einen positiven Eindruck vermitteln, der zu Ihrer Arbeitgebermarke passt.
Dabei ist eine gehörige Portion Kreativität gefragt: Stellenanzeigen in Zeitungen oder auf Jobportalen sind zwar der Klassiker, allerdings sind sie meist zu unpersönlich, um High Potentials anzusprechen. Es hilft daher, sich beim Employer Branding einiger Tricks aus dem Marketing zu bedienen, um eine überzeugende Arbeitgebermarke zu schaffen. Auf diese Weise ist es mit einem klaren Personalkonzept möglich, Fachpersonal zu finden, das sich mit Ihrem Unternehmen identifiziert und Ihnen langfristig treu bleibt.